BUGA Faserpavillon
Bundesgartenschau Heilbronn, 2019
Photografien, © ICD/ITKE, Universität Stuttgart
Diagramme, © ICD/ITKE, Universität Stuttgart
Entwicklungsprozess, © ICD/ITKE, Universität Stuttgart
Eingebettet in die wellenförmige Landschaft der Bundesgartenschau bietet der BUGA Faserpavillon seinen Besuchern ein einzigartiges architektonisches Erlebnis und einen Blick in die Zukunft des Bauens. Der Pavillon ist das Resultat langjähriger bionischer Forschung des Instituts für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) und des Instituts für Tragkonstruktion und konstruktives Entwerfen (ITKE) an der Universität Stuttgart. Das Gebäude zeigt, wie das Zusammenführen von modernsten Computertechnologien und Konstruktionsprinzipien aus der Natur die Entwicklung eines gänzlich neuartigen Bausystems ermöglicht. Die tragende Struktur des Pavillons besteht ausschließlich aus Faserverbundwerkstoffen und wird in einem robotergestützten Fertigungsprozess hergestellt. Diese weltweit einzigartige Struktur ist nicht nur hocheffizient und außergewöhnlich leicht, sondern sie ermöglicht gleichzeitig auch einen unverwechselbaren architektonischen Ausdruck und ein außergewöhnliches Raumerlebnis.
Neuartiges, von der Natur inspiriertes Faserverbundbausystem
In der Biologie bestehen die meisten tragenden Strukturen aus Fasern, wie zum Beispiel Zellulose, Chitin oder Kollagen, und einer stützenden Matrix, welche die Fasern in Position hält. Sowohl die erstaunliche Leistungsfähigkeit als auch die Ressourceneffizienz biologischer Strukturen ergeben sich aus eben diesem Fasersystem. Orientierung, Ausrichtung und Dichte der Fasern sind präzise abgestimmt und lokal ausdifferenziert, so dass nur dort Material platziert wird, wo es tatsächlich benötigt wird. Mit dem BUGA Faserpavillon wird dieses biologische Prinzip auf die Architektur übertragen. Die verwendeten Verbundwerkstoffe aus Glas- und Kohlefaser sind für solch einen Ansatz ideal geeignet. Das Projekt baut auf der langjährigen bionischen Forschung des Instituts für computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) und des Instituts für Tragkonstruktion und konstruktives Entwerfen (ITKE) in diesem Bereich auf. Es zeigt, wie die interdisziplinäre Erforschung biologischer Prinzipien in Verbindung mit digitalen Technologien zu einem neuartigen und genuin digitalen Faserverbundbausystem führen kann. Noch vor wenigen Jahren wäre es unmöglich gewesen, einen Pavillon dieser Art zu planen oder zu bauen.
Integratives, computergestütztes Design und robotische Fertigung
Der Pavillon besteht aus mehr als 150.000 Metern räumlich angeordneter Glas- und Kohlestofffasern. Deren individuelle Orientierung sowie die Entwicklung der sich daraus ergebenden Laminate wäre mit einem herkömmlichen, linearen Planungsprozess und konventionellen Produktionstechnologien kaum umsetzbar gewesen. Dies führte zur Entwicklung eines neuartigen Co-Design-Ansatzes, bei dem die Anforderungen aus Architektur, Tragwerk und robotischer Fertigung in einem kontinuierlichen digitalen Prozess integriert wurden. Auf diese Weise können Dichte und Ausrichtung der Fasern in jedem Bauteil unter Berücksichtigung der Fertigungsbedingungen individuell abgestimmt, strukturell ausgelegt und architektonisch gegliedert werden. Die Bauteile werden in einem robotergestützten, kernlosen Faserwickelprozess hergestellt. Dieser neuartige Ansatz zur additiven Fertigung wurde an der Universität Stuttgart entwickelt. Faserstränge werden von einem Roboter frei zwischen zwei rotierenden Wickelgerüsten platziert. Dabei ergibt sich die definierte Form des Bauteils durch die Wechselwirkungen der Fasern, ohne dass ein Formenbau oder Kern zur Ablage erforderlich ist. Dies ermöglicht eine maßgeschneiderte Form und individuelle Faserlagen für jedes Bauteil ohne wirtschaftliche Nachteile gegenüber einer Serienfertigung gleicher Bauteile. Darüber hinaus entstehen keine Produktions- oder Materialabfälle. Bei der Herstellung entsteht ein Netz aus lichtdurchlässigen Glasfasern, auf dem schwarze Kohlenstofffasern genau dort platziert werden, wo sie statisch benötigt sind. Dies verleiht den hochbelastbaren Bauteilen ihr unverwechselbares architektonisches Erscheinungsbild. Die Serienproduktion der Elemente erfolgte durch den Industriepartner des Projekts, der FibR GmbH. Für die Herstellung jedes Tragelements sind rund 1.000 Metern Glas- sowie 1.600 Metern Kohlestofffasern erforderlich und werden durchschnittlich vier bis sechs Stunden benötigt.
Einzigartige Leichtbauweise und ausdrucksstarker architektonischer Raum
Der Pavillon umfasst eine Grundfläche von rund 400 m² und erreicht eine Spannweite von mehr als 23 Metern. Die primäre Tragkonstruktion besteht aus 60 maßgeschneiderten Faserverbundbauteilen. Mit 7,6 Kilogramm Konstruktionsgewicht der Faserverbundbauteile pro Quadratmeter ist die Struktur außergewöhnlich leicht, etwa fünfmal leichter als eine herkömmliche Stahlkonstruktion vergleichbarer Spannweite. Die tragende Faserverbundstruktur wird von einer transparenten, mechanisch vorgespannten ETFE-Membran umschlossen. Umfassende Prüfverfahren zur bauaufsichtlichen Zulassung der Konstruktion bestätigten, dass ein einzelnes Faserverbundbauteil bis zu 250 Kilonewton an Druckkräften aufnehmen kann. Dies entspricht etwa 25 Tonnen oder dem Gewicht von mehr als 15 Autos. Der Pavillon zeigt, wie ein integrativer Ansatz aus computergestützter Planung und robotischer Fertigung die Entwicklung neuartiger Faserverbundbausysteme ermöglicht, die den strengen deutschen Bauvorschriften entsprechen und gleichzeitig extrem leicht, effizient und architektonisch ausdrucksstark sind. Eingebettet in die wellenförmige Landschaft des Geländes der Bundesgartenschau übersetzt der Pavillon diese Innovation auf technischer Ebene in ein einzigartiges architektonisches Erlebnis. Die schwarzen Kohlestofffasern wickeln sich wie gespannte Muskeln um das lichtdurchlässige Glasfasergeflecht. Der daraus resultierende Kontrast wird durch die transparente Hülle des Pavillons zusätzlich betont. Dieser charakteristische, architektonische Ausdruck wird durch die zunehmende Dichte die Kohlefaserbündel vom Scheitel des Pavillons zu den schlankesten Komponenten am Fußpunkt noch verstärkt. Die dem Gebäude zugrundeliegenden Konstruktions- und Gestaltungsprinzipien bleiben auf nachvollziehbare und ausdrucksstarke Weise ablesbar, obgleich die Besucher eine derartige Struktur wahrscheinlich noch nie zuvor gesehen haben. Die ungewöhnliche, aber in hohem Maße ausdrucksstarke architektonische Erscheinung zeigt neue Wege des digitalen Bauens, die nicht länger eine Zukunftsvision bleiben, sondern bereits heute greifbare Realität sind.
Der BUGA Faserpavillon liegt zentral auf der Sommerinsel der Bundesgartenschau 2019 und beherbergt die Ausstellung „Zukunftskarussell“. Die Eröffnung findet am 17. April 2019 durch den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg statt. Die Forschung an neuartigen Faserverbundbauweisen wird im Rahmen des neuen Exzellenzclusters „Integrative Computational Design and Construction for Architecture“ an der Universität Stuttgart weiter vertieft.
Projektpartner
ICD – Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung, Universität Stuttgart
Prof. Achim Menges, Serban Bodea, Niccolo Dambrosio, Monika Göbel, Christoph Zechmeister
ITKE – Institut für Tragkonstruktioen und Konstruktives Entwerfen, Universität Stuttgart
Prof. Jan Knippers, Valentin Koslowski, Marta Gil Pérez, Bas Rongen
Mit Unterstützung von:
Rasha Alshami, Karen Andrea Antorvaeza Paez, Cornelius Carl, Sophie Collier, Brad Elsbury, James Hayward, Marc Hägele, You-Wen Ji, Ridvan Kahraman, Laura Kiesewetter, Xun Li, Grzegorz Lochnicki, Francesco Milano, Seyed Mobin Moussavi, Marie Razzhivina, Sanoop Sibi, Zi Jie Tan, Naomi Kris Tashiro, Babasola Thomas, Vaia Tsokiou, Sabine Vecvagare, Shu Chuan Yao
FibR GmbH, Stuttgart
Moritz Dörstelmann, Ondrej Kyjanek, Philipp Essers, Philipp Gülke
Mit Unterstützung von:
Leonard Balas, Robert Besinger, Elaine Bonavia, Yen-Cheng Lu
Bundesgartenschau Heilbronn 2019 GmbH
Hanspeter Faas, Oliver Toellner
Filmproduktion
Photography
Roland Halbe
Camera
swabian studio GmbH
Cut
amplify design GmbH
Music
Soundtaxi GmbH
Projektgenehmigungsverfahren
Landesstelle für Bautechnik
Dr. Stefan Brendler, Dipl.-Ing. Steffen Schneider
Prüfingenieur
Dipl.-Ing. Achim Bechert, Dipl.-Ing. Florian Roos
DITF Deutsches Institut für Textil- und Faserforschung
Prof. Dr.-Ing. Götz T. Gresser, Pascal Mindermann
Projektförderung
Land Baden-Württemberg
Universität Stuttgart
Baden-Württemberg Stiftung
GETTYLAB
Forschungsinitiative Zukunft Bau
Pfeifer GmbH
Ewo GmbH
Fischer Group
PROJEKTDATEN
Abmessungen
23m Durchmesser, Nutzfläche ca. 400m², Flächengewicht der tragenden Faserverbundstruktur ca. 7,6kg/m²
Konstruktion
60 tragende, robotisch gefertigte Glas- und Kohlefaserverbundbauteile aus insgesamt 150.000m Glas- und Karbonfasern, transparente, mechanisch vorgespannte ETFE Membran